"Skinny Privilege": 74 Kilo weniger - und plötzlich sind alle nett (2025)

74 Kilo! Bensu Serin hat so viel abgenommen wie andere wiegen. Ausgrenzung wegen ihres Gewichts, so wie sie das ihr ganzes bisheriges Leben kannte, erlebt sie nun nicht mehr. Dafür macht sie eine andere Beobachtung, die sie ärgert.

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Dünn und beliebt – Das Phänomen des "Skinny privilege"

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Bensu Serin war ihr ganzes bisheriges Leben lang übergewichtig. Bereits im Alter von neun Jahren schickten ihre Eltern sie zum ersten Mal zu einer Ernährungsberaterin, erzählt sie.

Es folgten zahlreiche Diäten, die jedoch allesamt erfolglos geblieben seien. "Das Einkaufen von Kleidung war als Kind der reinste Horror für mich", sagt die heute 25-Jährige. "In den Umkleidekabinen stand ich oft hilflos da, da mir die Kinderhosen nie passten und ich stattdessen bei älteren Damen nach Kleidung suchen musste." Irgendwann seien selbst diese Sachen zu klein gewesen und Serin landete beim Shoppen in der Schwangerschaftsabteilung.

In ihrer schwersten Phase wog die Frankfurterin nach eigenen Angaben 133 Kilo bei einer Größe von 1,64 Metern. Vor drei Jahren habe sie sich entschieden, sich einer Magenbypass-Operation zu unterziehen, ihre Ernährung umzustellen und Sport und vor allem Yoga zu machen. 74 Kilo habe sie verloren, heute fühle sich endlich wohl in ihrer Haut, sagt sie.

"Auf einmal waren alle viel netter zu mir"

Serin spürt nach ihrem Gewichtsverlust nach eigenen Angaben eine deutliche Veränderung in der Art, wie andere Menschen sie behandeln: Seit sie weniger wiegt, erlebe sie, wie Fremde "plötzlich viel netter" zu ihr sind. Sie werde freundlicher in Geschäften empfangen, manche Kellner im Restaurant böten ihr sogar ein kostenloses Dessert an. "In solchen Momenten frage ich mich oft, ob die Menschen auch so nett zu der 133-Kilo-Bensu gewesen wären? Als ich mehr wog, habe ich diese Freundlichkeit selten erlebt."

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Skinny Privilege

Das Skinny Privilege oder auch Thin Privilege beschreibt ganz allgemein die Bevorzugungen von schlanken Menschen gegenüber dicken Menschen. Dazu gehören etwa positive Behandlung und mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft, bessere berufliche Chancen, leichterer Zugang zu Ressourcen und bessere medizinische Versorgung.

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Kompetenz im Beruf in Frage gestellt

Auch Ärzte nehmen ihre Beschwerden heute ernster als zu der Zeit, als sie übergewichtig war. "Jedes Mal, wenn ich zum Arzt ging, wurde alles auf mein Übergewicht geschoben, egal welche Beschwerden ich hatte." Man habe ihr immer nur geraten abzunehmen.

In zahlreichen Situationen des täglichen Lebens habe sie aufgrund ihrer Körperform Diskriminierung erlebt, selbst in ihrem Beruf als Physiotherapeutin. "Einmal wurde ich gefragt, ob ich die Patientin oder die Therapeutin sei." Seit sie dünner ist, werde ihre Kompetenz im Beruf nicht mehr in Frage gestellt.

Vorurteile gegen dicke Menschen sind tief verwurzelt

Linda Kagerbauer vom Frauenreferat Frankfurt ist "Fat-Aktivistin" und kämpft gegen die tief verwurzelten Vorurteile, denen viele Menschen allein aufgrund ihrer Körperform ausgesetzt sind. Sie erlebt es nach eigenen Angaben immer wieder, wie dicke Menschen mit dem Stempel versehen werden, faul, leistungsunwillig und unsportlich zu sein, während dünnen Menschen automatisch Sympathie und Intelligenz zugeschrieben werde.

Nach Kagerbauers Überzeugung herrscht in unserer Gesellschaft eine "traurige Realität": Körper würden unterschiedlich bewertet und in Hierarchien eingeteilt. "Das Schönheits- und Körperideal ist der weiße, nicht behinderte, schlanke Körper. Abweichende Körper werden ausgegrenzt, diskriminiert und anders behandelt", erklärt sie. Doch diese Vorgehensweise ist ihrer Ansicht nach falsch. "Man kann einem Menschen nicht aufgrund seines Äußeren bestimmte Eigenschaften oder Charakterzüge zuschreiben."

Gewichtsdiskriminierung kommt häufig vor

Der Verein Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung setzt sich dafür ein, das Bewusstsein für Gewichtsdiskriminierung zu schärfen. Auf ihrer Website betonen die Aktivisten, dass Körpergewicht explizit im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz als Diskriminierungsmerkmal genannt werden sollte. Sie fordern unter anderem, dass es vereinfachte Möglichkeiten für Betroffene geben sollte, um rechtliche Schritte einzuleiten.

Gewichtsdiskriminierung ist laut dem Verein eine der häufigsten Formen von Diskriminierung in Deutschland, mit einem Anteil von 46 bis 51 Prozent an den erfassten Erfahrungen. 78 Prozent der Bevölkerung hätten stigmatisierende Einstellungen gegenüber übergewichtigen Menschen und sehen Übergewicht oft als selbstverschuldet an, verbunden mit negativen Eigenschaften. Trotzdem wehrten sich Betroffene selten gegen die Diskriminierung, da das Stigma oft internalisiert und schambehaftet sei.

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Für Gleichbehandlung braucht es Verständnis

Bensu Serin hat einen klaren Wunsch: "Jeder sollte unabhängig von seiner Körperform gleich behandelt werden. Diese Diskriminierung muss ein Ende haben." Sie kennt die schmerzlichen Erfahrungen von Menschen, die aufgrund ihres Körpers schlechter behandelt werden.

Oft liege Mehrgewicht auch eine Krankheit wie Adipositas zugrunde. "Es muss aufhören, dass Menschen automatisch annehmen, es sei Selbstverschulden, wenn man übergewichtig ist. Es gibt viele Gründe, warum jemand übergewichtig sein kann." Heute möchte Serin nach vorne schauen und darauf aufmerksam machen, dass es "weder das 'Skinny Privilege' noch irgendein anderes Privileg geben sollte."

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Redaktion: Katrin Kimpel

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.03.2024, 19.30 Uhr.

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